Wir befinden uns rund 50 km nördlich von London auf der Royal Air Force Basis Wittering in der Nähe von Stamford in Lincolnshire.

Wittering ist eine der ältesten Basen der RAF und kann auf eine lange Tradition zurückblicken, die sich nicht nur auf Militäroperationen beschränkt, sondern auch Neuentwicklungen beinhaltet. Die Basis dient nicht nur als Fliegerhorst, sondern auch als logistische Plattform für weltweite Operationen. Motto der 20. Staffel heißt "deeds, not words" ("Taten, nicht Worte").

Wittering nennt sich "Home of the Harrier". Das ist zwar richtig, aber trotzdem nur die halbe Wahrheit, weil hier eigentlich nur die 20. Reserve Squadron beheimatet ist und die Operational Conversion Unit, die 233. OCU. Dort werden und wurden nicht nur die Piloten der Royal Navy und Air Force, sondern auch einige der spanischen, indischen,
amerikanischen und italienischen Navy ausgebildet.

Gateguard Harrier GR.3


Die Geschichte der Schulungseinheit geht zurück bis in den Herbst 1952, wo man in Pembrey in Süd-Wales noch Vampires und Meteors, aber auch Tempests, Oxfords und Tiger Moths zur Verfügung hatte. Sogar ein eigenes Kunstflugteam auf Vampires konnte man hier bewundern. Bei einem Zwischenfall ist dem Leader die Cockpithaube weggeflogen und vom Wind sein Helm um 180° gedreht worden. Er konnte ihn aber wieder richtig rum drehen und sicher landen; das war sicher eher Stoff für einen Trickfilm.


1955 kamen die ersten Hunters, aber bereits 1957 wurde die Einheit und auch die Basis Pembrey aufgelöst. Erst 12 Jahre später, Anfang 69, wurde das Harrier Conversion Team in Dunsfold am Hawker Siddeley Airfield gegründet. Bereits Mitte des Jahres siedelten sie nach Wittering und wurden 1970 offizielle 233. OCU genannt.
Unser Z

Am 1. September 1992 wurde die OCU und die 20. Squadron vereinigt.

Es ist kaum zu glauben, dass der heutige Harrier seine Wurzeln bereits 1957 mit der Entwicklung der Hawker P 1127 hatte, einer Maschine, von der der damalige englische Verteidigungsminister sagte, dass man danach keine weiteren bemannten Kampfflugzeuge mehr benötigen würde. Erstflug war im Oktober 1960, aber sie war den Piloten noch zu schwach, man wollte ein Überschallflugzeug, aber aus Kostengründen wurden die folgenden Prototypen für den Bodenangriff konzipiert.

Das Programm wurde Kestrel genannt, und von britischen, amerikanischen und deutschen Piloten wurde ihre Meinung dazu eingeholt. 1967 wurde es in "Harrier" umbenannt, der erste Vertrag wurde unterzeichnet und die RAF orderte 118 Maschinen für vier Staffeln, drei davon in Deutschland. Dieser GR.1 Version folgte später die GR.3 mit stärkerem Triebwerk und verbesserter Avionik; die GR.3 wurde auch im Falklandkrieg eingesetzt. Das wiederum hat die Amerikaner überzeugt, auch einzusteigen, daraus resultierte Mitte der 80er die GR.5, die baugleich mit der AV-8B für das US Marine Corps war. Die GR.7 war später endlich auch in der Lage, Nachteinsätze zu fliegen sowie jede Waffe aus dem RAF-Bestand einzusetzen.

Der erste Kurs für Harrierpiloten in der OCU begann am 14. Juli 1969 mit der ersten Jagdstaffel, deren Piloten von der Hawker Hunter kamen. Die Umschulung war im Vergleich zur heutigen Zeit noch harmlos; nach 20 Einsätzen konnte man die Maschine fliegen, die restliche bzw. operationelle Ausbildung wurde in den Einsatzstaffeln vorgenommen. Den Doppelsitzer bekamen sie erst ein Jahr später, so dass die Ausbilder ihren Job von einem Begleitflugzeug aus machen mussten, meist ein Hunter oder Harrier. Das Schwebetraining erfolgte erst ganz am Ende des Kurses, bemerkenswerterweise sogar ohne weitere Schäden.

Die Ausbildung splittet sich in einen B- und einen A-Teil. B wie Basic bedeutet, dass der Schüler die Maschine zunächst im normalen, dann im Schwebeflug beherrscht, dann folgen Navigation und Formationsflug.
A wie advanced, also fortgeschritten wird mit dem Abwurf von Übungsbomben und ungelenkten Raketen begonnen, es folgen Luftkampfübungen, Luft-Bodenangriffsübungen, Luftbetankung und der Abwurf schwerer Waffen. Früher mussten die Navypiloten noch Trägerlandungen in Yeovilton üben. Am Kursende hat der Absolvent eine Formation zum Angriff gegen Bodenziele zu führen.

Die 1. Staffel, auch auf Harrier, ist Ende der Neunziger nach Cottesmore verlegt worden. Die weiteren Einheiten aus Wittering, hauptsächlich Verwaltung, Bombenräumkommando, Mobile Catering Support sowie Armament Support Unit werde ich hier sträflich vernachlässigen, die haben mit der Fliegerei nur am Rande zu tun. Zu erwähnen ist vielleicht noch, dass Wittering Geburtsstätte und mittlerweile auch wieder Heimat der RAF Segelfluggruppe, der Gliding and Soaring Association ist.

Die 20. Squadron wurde 1915 gegründet und durchgehend im 1. Weltkrieg eingesetzt mit 613 bestätigten Luftsiegen. Im 2. Weltkrieg waren sie hauptsächlich in Fernost tätig, vornehmlich mit Lysander und Hurricane.
Nach dem Krieg wurde die Staffel mehrmals aufgelöst und wieder neu gegründet; ihre Einsatzorte waren Singapur und mehrere Basen in Deutschland. Die Flugzeugtypen während der Periode waren Vampire, Sabre, Hunter, Jaguar und Tornado.
Während ihrer Zeit in Laarbruch ist der Golfkrieg ausgebrochen.
Nachdem aber Anfang der Neunziger das alte Feindbild vom bedrohlichen Osten langsam zusammenfiel, wurde auch am 1. September 1992 die 20. Staffel in Laarbruch aufgelöst und wieder nach England geschickt. Die Anforderungen und Bestimmungen wurden der 233. OCU übergeben, diese wurde zur 20. Reserve Squadron.


Noch bis zum Anfang des neuen Jahrtausends galt der Harrier GR 7 als das bestintegrierte und modernste Kampfflugzeug bei der RAF, danach hatte ihm freilich der Typhoon den Rang abgelaufen. Im Moment ist geplant, ihn noch bis 2015 im Dienst zu behalten. 2005 hatte gerade die Umstellung der Einsitzer auf die modernisierte GR 9 Variante begonnen; Hauptunterschied ist ein Avionik-Upgrade, das stärkere Rolls Royce 1161 Triebwerk und die Fähigkeit, intelligente Waffen, die Smart Weapons einzusetzen.


Chris Rogers


Hier noch ein paar Szenen, die nicht unbedingt dem Harrier-Programm zuzuordnen sind. Zum Beispiel stand ich eines Morgens vor einem freundlichen Herrn, dessen Name mir sehr bekannt vorkam, den ich aber nicht unterbringen konnte. Ehemaliger Reds-Leader, fragte ich? Nein. Aber Andy Green war derjenige, der vor einigen Jahren mit dem Thrust SSC den Weltrekord für Landfahrzeuge aufgestellt hatte. Der Wagen war mit zwei Phantom-Triebwerken ausgestattet. Nun schiebt Andy Dienst in Wittering.

Dann beeindruckt mich immer wieder, welche zierliche Persönchen am Knüppel eines Kampfflugzeugs sitzen. Jedenfalls außerhalb Deutschlands...

Und schließlich wollte ich Ihnen den Blick aus dem fahrbaren Tower an der Runway nicht vorenthalten...

Andy Green

Harrier Jockey

Entertainment im Tower


Das nächste Kapitel ist ein kleines Bonbon, mit dem ich bei der Terminbesprechung gar nicht gerechnet habe. Auf den englischen Basen ist es üblich, einen Family Day abzuhalten, das ist ein Tag der offenen Tür mit Flugvorführungen und Showcharakter, der allerdings nur den Geschwadermitgliedern und deren Angehörigen vorbehalten ist. Ein solcher hat zufällig jetzt stattgefunden, und es war nicht so, dass ich mich darüber geärgert hätte.

..
Zur Bodenausstellung gehörte auch dieses sehr gut erhaltene Exemplar eines GR.1 und natürlich einige Flugzeuge der RAF. Ansonsten konnte man außer Flugzeugen noch gepanzerte Fahrzeuge, Ausrüstung des Bombenräumkommandos, zivile Oldtimer und einiges mehr bewundern.



Die Basis wird seit 1916 militärisch genutzt, Wittering hat die Ehre für sich, die älteste operationelle Basis der RAF zu sein. Das aktuelle Flugfeld, was früher übrigens die größte Graspiste der Welt war, ist aus einem Zusammenschluss aus Wittering und RAF Collyweston entstanden, die rund 3.000 Meter lange Runway ist die Verbindung.
Bis 1935 war die Central Flying School in Wittering beheimatet, danach wurde es zur Jägerbasis mit drei Staffeln Hurricanes und Spitfires, später kam auch die 55. Jagdstaffel der US Air Force dazu.

Während des Kalten Krieges hat Wittering eine große Rolle im Rahmen der nuklearen Abschreckung gespielt, die Runway war ausreichend für die V-Bomber Vulcan, Victor und Valliant, bis Anfang 1969 waren zwei mit Blue Steel bewaffneter Staffeln Victor hier stationiert; sie waren Teil der QRA, der Quick Reaction Alert der RAF. Das bedeutet, dass ständig zwei nuklear bewaffnete Maschinen innerhalb 15 Minuten in der Luft gewesen wären.

Zu bestimmten Zeiten waren weitere vier Bomber neben der Runway auf der so genannten ORP, der Operation Readyness Platform abgestellt. Wenn sie bemannt waren, konnten sie innerhalb 30 Sekunden abheben; eine wichtige Eigenschaft, da die Vorwarnzeit bis zum Einschlag von Raketen lediglich vier Minuten betragen hat. Als 1968 die Aufgabe der nuklearen Abschreckung der Navy mit ihren Polaris U-Booten übertragen wurde, sind die Victors verlegt worden, und um ein Haar wäre die Basis geschlossen worden. Das wurde Gott sei Dank verhindert durch die Ansiedlung der Harrier.



Dieses Spektakel ist Navy-Tradition und nennt sich Field Gun; mir persönlich bis dahin völlig unbekannt. Grob ausgedrückt geht es dabei um eine Gruppe Soldaten, die im Eiltempo zwei Kanonen von A nach B schieben und nebenbei auseinander nehmen müssen, dann werden einige Schüsse abgefeuert, und es geht den gleichen Weg zurück. Es gibt richtige Field Gun Wettbewerbe, die 2005, also 200 Jahre nach der Schlacht von Trafalgar, irre Ausmaße angenommen haben. Obwohl eigentlich NAVY-Tradition mischen mittlerweile auch Einheiten der Army und Air Force mit.


.

.Nun kamen die RAF-Maschinen für die Bodenausstellung an, auch die mittlerweile ausgemusterte Canberra.

Canberra

GR-4


Endlich begann das Flugprogramm. Vorweg die Bemerkung, dass ich mich darauf konzentriert habe, die Show mit Video aufzuzeichnen, daher gibt es nur von einigen der erwähnten Teilnehmer Fotos. Bitte haben Sie Verständnis!

Ich wurde gefragt, wo ich denn stehen wollte, um die Show aufzunehmen, und ich habe aus Spaß gesagt: an der Runway natürlich. Ich muss selten blöd ausgesehen haben, als man ohne mit der Wimper zu zucken einen Jeep bestellt hat, der mich zur Runway bringen sollte. Ich hatte natürlich eine Menge Spaß dabei, aber die Red Arrows haben mir trotzdem in die Suppe gespuckt, weil sie ihre Displayachse weit ins Hinterland verlegt hatten. Die Entscheidung war aber absolut verständlich, weil sie ansonsten fast jeden Anflug über die nahe gelegene Autobahn hätten machen müssen, und wenn alle Autofahrer so reagiert hätten wie mit Sicherheit ich, dann gute Nacht.

Die Grob Tutor T-1 ist nicht wirklich spektakulär, aber irgendwo drauf müssen die Flugschüler schließlich ihre ersten Erfahrungen sammeln. Sie werden an 14 Orten Englands eingesetzt, den University Air Squadrons und Air Experience Flights. Obwohl sie die englischen Kokarden tragen, haben sie trotzdem zivile Registrierungen und gehören nicht zur RAF. Der Displaypilot war Andy Preece, Fluglehrer aus Cranwell, der aber damals auch 3 Jahre in Brüggen stationiert war.

BAe Hawk

Merlin


Die letzte Stufe der Flugschüler vor ihrer Versetzung zu Verbänden mit Frontline fightern wie Tornado oder Typhoon ist die Hawk. Wie immer kam die Displaymaschine von der 208 Reserve Squadron aus Valley, Pilot ist Flight Lieutenant Phil Diacon.

Die Merlin kam von der 28. AC Squadron aus Benson. Die Staffel gehört zur Air Force, das AC bedeutet allerdings Army Cooperation. Die Staffel wurde 1915 gegründet und war auf verschiedenen Basen, unter anderem in Hongkong beheimatet und wurde 1997 aufgelöst. 2001 wurde sie reformiert, fliegt seitdem die Merlin und ist tätig vom Polarkreis bis nach Afrika, um Einheiten bei der Ausbildung auf dem Merlin zu unterstützen.

Aufgaben sind Truppen- und Frachttransport, Notfallevakuierung und Luftlandemanöver. Die Ausrüstung besteht aus 24 Sitzen, Außenladehaken, Luftbetankungsstutzen, interner Winch, Halterungen für Fast Roping, Enteiser für Rotoren und Heck und einiges mehr. Mit vier Mann Besatzung können knapp 5 ½ Tonnen Fracht transportiert werden, er hat eine Reichweite von 4 ½ Stunden ohne und 5 ½ Stunden mit Außentanks.
Pilot war Squadron Leader Mark Beardmore.

Die Tucano ist der RAF Basis Trainer und wurde damals als Nachfolger der Jet Provost angeschafft. Gebaut wird sie unter Lizenz bei Shorts in Belfast; Originalentwicklung war die brasilianische Embraer 312. Die Flugschüler fliegen rund 130 Stunden auf der Tucano, bevor sie auf ihren ersten Jet, die Hawk wechseln.

Die stolzgeschwellte Brust gehört Flight Lieutenant Chris Rogers, der 2005 die ehrenvolle Aufgabe innehatte, die Staffel bzw. den Harrier der Royal Air Force auf Airshows zu vertreten. Chris, lass einen fliegen!

Tucano

Chris Rogers



Ein Display der Sea Lynx der Royal Navy sieht man eigentlich nur noch von den Black Cats, eine Solovorführung ist seltener geworden.

Die Ära des Sea Harrier ist definitiv vorbei, hier sehen Sie noch mal eine seiner letzten Vorführungen. Die schwarze Sonderlackierung ist in seinem letzten aktiven Jahr zu den europäischen Airshows geschickt worden, am 28. März 2006 war die Abschiedszeremonie in seiner Staffel in Yeovilton in Somerset.
Die Maschine war 30 Jahre im Einsatz und wurde vor allem für seine Zuverlässigkeit und Effektivität während des Falklandkrieges Anfang der 80er gelobt, er wurde aber ebenso im Golfkrieg, auf dem Balkan und anderen Gebieten eingesetzt.
Displaypilot in seinem letzten Sea Harrier Jahr war Lt Cdr Jason Flintham.

Sea Lynx

Sea Harrier



Die Spitfire kam von der Battle of Britain Memorial Flight aus dem nahegelegenen Coningsby. Die eigentlich elypsenartigen Flächen sind gestutzt worden, um der Spit bessere Flugeigenschaften im Tiefflug bzw. bei Flughöhen bis 8.000 Metern zu geben.

Gegen Ende gab es noch ein bisschen Krach vom Tornado GR-4 Display Team der RAF, und sie hat auch den Schlusspunkt des Family Day markiert.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei den Piloten der Staffel, speziell bei Chris Margiotta für die hervorragende Unterstützung und die herzliche Aufnahme, vor allem für die Einladung zum Staffelabend in Stamford.

Ihnen danke ich für Ihr Interesse und hoffe, dass Ihnen das kleine Special gefallen hat.

Bis zum nächsten Mal bleibe ich Ihr und Euer Kai Haarmann
.

Spitfire

GR-4

.

Die Teilnehmer machten sich wieder auf ihren kurzen Weg nach Hause, ich hab mich für ein Souvenierfoto in den Harrier gesetzt und der Family Day bei nebenbei bemerkt knapp 30° ging seinem Ende entgegen.

Auch von diesem Tag gibt es (zusammen mit der Air Tattoo Fairford 2007) eine DVD bei www.vph-airshowvideos.de.

Ihnen danke ich für Ihr Interesse und hoffe, dass Ihnen das kleine Special gefallen hat.

Bis zum nächsten Mal bleibe ich

Ihr und Euer Kai Haarmann


Startseite

Navigation